Wo lernt man Menschen besser kennen als in der Küche?
Dort, wo man kocht, feiert, genießt und mit Freunden ganze Nächte verbringt.
Wo man lacht, weint, streitet und sich wieder verträgt.
Wo man die intimsten Gespräche führt.
Dort, wo das Leben spielt.
Für meine Blog-Serie „Kitchen-Stories“ treffe ich interessante Menschen.
Genau dort: In ihrer Küche.
Ich möchte mit ihnen kochen, reden und sie dabei kennen lernen.
In dieser ganz entspannten, privaten Atmosphäre.
Mitten in ihrem Leben.
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Gemeinsam mit der Fotografin Maike Helbig bin ich nach Hamburg gefahren.
Zur Malerin und Kalligrafin Jeannine Platz.
Eine faszinierende Persönlichkeit mit vielen Talenten.
Für uns hat sie die Türen zu ihrem Atelier geöffnet.
Wie immer, beginnt unser Treffen aber erstmal in der Küche…
Die ist für Jeannine und ihre Familie der Mittelpunkt des Hauses.
Lichtdurchflutet. Nach allen Seiten offen. Freier Blick in den Garten.
„Ich könnte keine Küche mit einer Tür haben“, sagt die Künstlerin. „Wo ich dann so abgeschlossen bin. Ich habe Lust, mittendrin zu sein. Und auch Leute da zu haben. Beim Kochen zu Quatschen. Ich liebe es, dass hier alles in diesem Raum passiert. Der auch ins Wohnzimmer übergeht. Ich telefoniere hier, mache meine Laptop-Arbeit in der Küche, also eigentlich findet bei mir alles in der Küche statt.“
Und wie ist das mit dem Kochen?
„Bei mir muss es vor allem immer schnell gehen. Ich möchte nicht stundenlang am Herd stehen. Ein 5-Gänge-Menü gibt es bei mir eher nicht…“
Jeannines Töchter toben die Treppe herunter: „Also die Mama kann nicht so richtig gut kochen…“, kichern sie. Da muss auch die Mama lachen. Und nimmt Marla und Juli in den Arm.
„Naja, Kochen ist immer so aufwändig. Das ist nicht so meine Sache. Ich liebe es aber zum Beispiel, wie die Italiener morgens am Tresen stehen und essen. Ich mag dieses Gesellige, Kommunikative. Ich probiere und esse auch gerne beim Kochen. Es ist toll, mit ein paar Leuten in der Küche zu sein und jeder macht irgendwas. Das finde ich spannend.“
Marla und Juli möchten auch mitmachen. Jeannine Platz hat sich für einen fruchtigen Quinoa-Salat entschieden.
„Der geht schnell und ist echt lecker!“ Passt auch super zur Künstlerin: Eine echte Farb-Explosion. Und die Zubereitung wird zum Happening: Jeannines Töchter entkernen die Granatäpfel.
Pulen um die Wette. Der feuerrote Saft der explodierenden Samen verteilt sich auf der Arbeitsplatte.
Jeannine kocht derweil den Quinoa und schneidet zwei Birnen in kleine Stücke.
Ursprünglich hast Du ja Werbe-Kauffrau gelernt. Aber das war dir schon damals nicht kreativ genug, oder?
„Stimmt. Aber nebenan war eine Film-Produktion. Und ich hab da immer rübergelinst und gedacht: Oh, das würde mich viel mehr interessieren. Dann hab ich die beiden Chefs überredet, dass ich zwar meine Ausbildung mache, aber eigentlich in der Filmproduktion arbeite. Und damit waren sie einverstanden…“
„Ich hab dann also immer Filme gemacht. Und sollte irgendwann auch vor die Kamera. Das konnte ich aber nicht. Das ist mir sehr schwer gefallen. Und da dachte ich: Am besten wäre noch eine Moderatoren-Ausbildung. Da hatte ich dann auch Schauspiel als Unterrichts-Fach. Und ich habe gemerkt, wie mir dabei richtig das Herz aufging. Das kann ich, da spiel ich die Rollen, da bin ich glücklich. Und mein Lehrer hat gefragt: Willst Du nicht lieber in die Schauspiel-Richtung gehen? Und von einem Tag auf den anderen habe ich alles hingeschmissen und eine Schauspiel-Ausbildung begonnen. Das war so toll!“
Du bist dann ja sogar im Ohnesorg-Theater aufgetreten…
„Genau – mit Heidi Mahler, der Tochter von Heidi Kabel! Und Heidi Kabel selbst hat mir noch das Plattdeutsch beigebracht! Und dann hab ich da gespielt und das war großartig. Aber irgendwann bin ich schwanger geworden. Und habe gemerkt – oh, das ist jetzt schwierig. Wenn das Kind dann da ist und ich muss jeden Abend weg – das habe ich nicht übers Herz gebracht. Dann habe ich eine Pause gemacht mit der Schauspielerei.“
Und wie kamst Du dann zur Malerei?
„Schon in der Zeit, als ich gespielt habe, hab ich nachts immer gemalt. Das war mein Ausgleich. Um Mitternacht kam ich nach Hause und hab bis drei Uhr noch gemalt. Erst das Extrovertierte auf der Bühne und dann das Eintauchen in meine innere Welt. Das war für mich das Allergrößte. Und sehr, sehr wichtig. Mit der Malerei habe ich auch mein Geld verdient. Und mir damit mein Schauspielstudium finanziert.“
Der Quinoa ist fertig. Jeannine gießt ihn durch ein Sieb und gibt ihn in die große Salatschüssel.
Marla und Juli werfen die Granatapfel-Samen und die Birnen-Stückchen dazu. Dann knöpfen sie sich den Schafskäse vor. Zerkleinern ihn mitten im Küchen-Chaos. Nicht, ohne das ein oder andere Stückchen dabei zu vernaschen.
Die Malerei hast Du dir aber selbst beigebracht. Oder war das auch noch eine Ausbildung?
„Nee, ich hab’s einfach gemacht. Hab’s nicht gelernt. Einfach rumprobiert. So vor 5-6 Jahren hatte ich dann mal ein ganz schlechtes Gewissen. Hab gedacht: ich nenn mich Malerin, verdiene auch mein Geld damit – hab’s aber gar nicht gelernt. Und hab dann an einer Kunstschule ein Jahr lang Unterricht genommen. Das war furchtbar! Die wollten, dass ich mit Pinseln male – aber das wollte ich nicht. Ich wollte mit meinen Händen arbeiten. Und hab dann gesagt: Nee, Leute, das ist nichts für mich. Tschüss!“
Jeannine halbiert eine Zitrone. Zerquetscht sie über dem Salat.
Für das Dressing gibt sie außerdem Öl, Essig, Agavendicksaft, Salz, Pfeffer und gehackten Koriander dazu.
Einmal kräftig umrühren – und ab auf den Tisch damit! Der bunte Salat sieht toll aus. Aber auf Jeannines selbst bemalten Tellern ist er der Hammer!
Du arbeitest auch noch mit Keramik?
„Ja, das habe ich irgendwann mal gemacht. Habe versucht, so eine kleine Kollektion zu entwerfen. Habe mit meiner Technik auf die Teller kalligrafiert und gespritzt.“
Zum Quinoa-Salat gibt’s frisches Zitronenwasser. Passt perfekt zusammen. Und schmeckt wirklich super!
Jetzt geht’s ins Atelier: Nur ein paar Minuten entfernt. Mitten in Hamburg-Ottensen. Altbau. Über einer großen, knarzenden Holztreppe liegt das Paradies.
Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst gucken soll. Überall diese wunderschönen Bilder. Stapelweise Keilrahmen. Farben ohne Ende. In Tuben und auf dem Boden. Spachtel, Pinsel und Stifte quetschen sich in bunten Holzkisten.
Ich bleibe vor einer von Jeannines bekannten Hafen-Ansichten stehen. Bewundere die Kraft und Intensität, die von dem Bild ausgehen.
Wie bist Du zu deinem Stil gekommen? Du arbeitest ja fast immer ohne Pinsel…
„Also den Himmel male ich immer mit den Händen. Und die Akzente mit Spachteln. Wenn ich zum Beispiel einen Hafen male, die Kräne oder die Häuser, dann meistens mit Spachtel. Oder auch mal mit dem Fingernagel.
Ich arbeite einfach gern mit meinen Händen. Das war von Anfang an so. Früher hatte ich dabei aber noch keine Handschuhe. Da musste ich immer in Terpentin baden. Und hab dann mal gehört, wie ungesund das ist. Deswegen benutze ich jetzt Handschuhe. Pro Bild brauche ich etwa 100 Paar.“
Im kleinen Nebenraum steht ein mächtiger Holztisch. Darauf Gefäße mit unterschiedlichsten Federn und anderem Schreibwerkzeug. Hier arbeitet die Kalligrafin Jeannine Platz. An den Wänden hängen Bilder, Tischkarten und Einladungen. Ihre schöne Handschrift ist weltweit gefragt. Unter anderem von Chanel, Montblanc, Cartier, Hermès, Luxus-Hotels, Verlagen, Großkonzernen oder auch Prominenten wie Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop.
„Kalligrafie mach ich jetzt schon seit 12 Jahren. Ich hatte eine Freundin, die hat bei einer PR-Agentur gearbeitet. Und die hat gesagt: Ich brauche mal eine schöne Handschrift. Und dann hab ich da Hunderte von Einladungskarten kalligrafiert. Die Agentur hat mich danach immer wieder engagiert. 10 Jahre lang. Und über die habe ich dann unglaublich viele Anfragen bekommen. Wurde in der ganzen Welt gebucht. Auch von vielen Prominenten.“
Aber Kalligrafie schüttelt man doch nicht so einfach aus der Feder…
„Das ist das Gleiche wie bei der Malerei. Ich habe einfach immer wieder geschrieben. Und dadurch gelernt. Einmal im Jahr habe ich auch einen Kurs gemacht. Jeweils ein Wochenende bei Trainern aus Japan und Amerika. War dann aber auch immer wieder froh, als das zu Ende war. Da hatte ich dann wieder mich…“
Das heißt, Du arbeitest nur mit deiner Handschrift?
„Genau. Aber inzwischen habe ich mir auch andere Schriften angeeignet. Wenn jemand zum Beispiel für eine Urkunde eine gotische Schrift möchte, dann kann ich das auch. Indem ich auch das einfach immer wieder tue. Weil es mich interessiert. Aber es gibt natürlich auch Kalligrafen, die üben dreißig Jahre an einem Buchstaben und wollen den immer weiter perfektionieren. Das kann ich nicht. Ich bin frei. Ich mache einen Schwung, aus dem Handgelenk heraus, und der muss jetzt nicht unbedingt aus einer Epoche sein.“
Was für eine schöne Kunst. So ästhetisch. Alles wirkt ganz leicht und edel. Wenn man nicht wüsste, dass hinter so einem Schriftzug jahrelanges Üben steckt…
Wir gehen zurück ins Atelier. Jeannine zeigt mir ihr aktuelles Projekt: Die „Suite Views“. Schönste Ausblicke aus Traum-Hotels in der ganzen Welt.
Was für eine tolle Idee! Wie bist Du darauf gekommen?
„Also ich fahre ja immer mal wieder auf Containerschiffen mit. Dann sehe ich tagelang, manchmal wochenlang nur den Horizont. Nur eine Linie und endlose Weite. Und da habe ich mich gefragt: Finde ich diese Weite auch in einer Stadt? Habe mich auf die Suche nach dieser Horizont-Linie gemacht.
Ich dachte: Dafür muss ich irgendwo raufklettern. Und da auch schlafen. Weil ich den ersten und letzten Blick des Tages erhaschen möchte. Da wurde mir klar: Am besten ist ein Hotel. Und in den Suiten hat man natürlich immer die besten Blicke.
Das erste Hotel hat gleich nein gesagt. Ich habe aber trotzdem eingecheckt. Weil ich diesen Blick unbedingt malen wollte. Und dieses Bild war meine Referenz für alles weitere. Es ist inzwischen verkauft.“
Jeannine Platz plant eine Ausstellung mit ihren Suite Views. Sie hat schon mehr als 40 Bilder gemalt. 50 sollen es werden. Übrigens auch aus dem Hotel, dass ihr Projekt damals nicht unterstützen wollte…
„Die haben mich angerufen und gesagt: Bitte, bitte, wir möchten jetzt doch mitmachen. Also gehe ich da nochmal hin und male. Für meine Suite Views habe ich immer nur zwei Tage Zeit. Ich male dann 10 Stunden ohne Pause. Und auch nachts. Ich male dann wirklich nur. Aber das finde ich auch toll, weil ich dann so eintauche und da so richtig drin bin.“
Wenn Du in diesen teuren Hotels nur so wenig Zeit hast beim Malen. Was machst Du denn, wenn Dir ein Bild mal nicht gefällt?
„Also man muss sich schon trauen. Darf keine Angst haben: Oh Gott, mach jetzt bloß nichts kaputt. Und das finde ich auch toll am Malen: Eigentlich kann nichts passieren. Du kannst ja alles wieder übermalen.“
Für die Suite Views reist Du ja rund um die Welt, Ist das nicht schwierig mit der ganzen Ausrüstung?
„Also ich habe immer zwei große Leinwände dabei. Und einen Koffer mit 30 Kilo Farbe. Das ist nicht unproblematisch. Denn für das Übergepäck muss ich schon manchmal zahlen – das ist leider so. Aber inzwischen habe ich da meinen Trick: Dass ich immer erst einchecke, wenn die Maschine schon fast abhebt. Dann haben die keine Zeit mehr zum Meckern und dann darf ich so durch.“
Und während ich diesen Text schreibe, malt Jeannine schon wieder in der nächsten Suite. Gerade blickt sie auf Los Angeles. Auch diesen Suite View kann man schon bald bewundern: Im Mai 2017 stellt Jeannine Platz in Hamburg aus. Natürlich in einem Hotel. Gerade eröffnet in der Elbphilharmonie.
Alle Fotos: Maike Helbig
Idee, Konzept & Text: Bettina Bergwelt
Wer mehr über die Künstlerin Jeannine Platz erfahren möchte, finde alle Infos auf ihrer Website und bei Facebook.